Kommentar zum Tagesspiegel
Anna Schwerdtel / Tim Michaelis / Tom Keiling
Unser Kommentar zum Tagesspiegel Beitrag
Absatz 1: Behauptung: Niemand hat öffentlich die Frage diskutiert, ob Taylor eine Fehlbesetzung war, weil sie weiß ist.
Falsch! Es wurde zu dem Thema publiziert und auch diskutiert. Zu sagen, hier hätte es keine öffentliche Debatte gegeben ist schlichtweg falsch. Die aufmerksamen Leser*innen werden jedoch bereits gemerkt haben, dass diese Frage gar nicht das eigentliche Problem ist. Vielmehr stellt Frau Keilani gleich zu Beginn des Kommentars eine These in den Raum, die nichts mit der Überschrift zu tun hat, aber gut geeignet ist, um eine Grundstimmung der Empörung aufkommen zu lassen, nach dem Motto „Früher war es doch auch kein Problem“.
In den nächsten zwei Absätzen schmückt sie die Geschichte um die weiße Kleopatra aus, um dem anfänglichen Aufreger eine Daseinsberechtigung in ihrem Artikel zu geben.
Dann allerdings kommt Absatz 4.
Dieser beginnt mit klassischen Ablenkungsmanövern weg vom eigentlichen Thema und endet damit, dass sie der jungen Generation pauschal eine Meinung unterstellt, die ihre eigene Position stützen soll. Würde heutzutage wirklich jedes Kind sagen „Juckt doch niemanden, ob sie weiße, braune oder grüne Haut hat, Hauptsache, sie kann die Rolle“? Nein, denn auch Kinder wissen, wie wichtig es für benachteiligte Personen ist, sich in den Medien wiederzufinden und repräsentiert zu werden. Gerade Kindern hilft das ungemein bei der Selbstfindung und Charakterbildung. Es geht also tatsächlich nicht nur darum, welche Hautfarbe die historische Kleopatra tatsächlich hatte, sondern ob die Chance ergriffen wird, Kindern Diversität nahe zu bringen. Der Film hat übrigens eine Altersfreigabe von 6 Jahren, also ist es durchaus nicht unwahrscheinlich, dass viele Kinder den Film gesehen haben und von einer schwarzen Hauptdarstellerin profitiert hätten.
Absatz 5+6: Das Anprangern von Rassismus als Fulltime Job
Ja, ähm, hier wissen selbst wir nicht, was wir dazu noch schreiben sollen. Wir sind uns sicher, dass es allen, die Rassismus anprangern und bekämpfen, lieber wäre, diesen „Job“ nicht machen zu müssen, weil Rassismus einfach von dieser Welt verschwindet. Aber es gibt Rassismus. Jeden Tag. Punkt.
Absatz 7+8: Wer kein Opfer bringt, kann kein Freund sein.
Hier regt sich Frau Keilani darüber auf, wie unfair, ja sogar erpresserisch es von Jasmina Kuhnke sei, zu fordern sich nicht nur der rassistischen Umstände bewusst zu sein. Nein, die privilegierten weißen Menschen sollen sich nun auch noch dafür einsetzen, dass sich das System verändert – ein System, von dem in erster Linie weiße Menschen profitieren.
Es ist doch ganz einfach: möchtest du ein “Verbündeter” sein? Dann setz dich aktiv dafür ein, dass sich was an diesem System ändert, das auf Rassismus basiert und diesen Rassismus jeden Tag durch seine Strukturen festigt und bestätigt! Das Bewusstsein allein schafft noch keine Veränderung! Dabei wurde niemand aufgefordert, Buße zu tun oder ähnliches. Doch wer sich als „Ally“ bezeichnet, der sollte nicht nur Lippenbekenntnisse abgeben, sondern den Worten auch Taten folgen lassen.
Kleiner Profi-Tipp für Weiße, die nichts falsch machen wollen trotz „reinen Herzens und guten Willens“: schreibt, teilt oder unterstützt nicht Artikel wie diesen vom Tagesspiegel und schon macht ihr einen Schritt in die richtige Richtung.
Absatz 9: Weiße können es kaum richtig machen
Frau Keilani behauptet hier, dass man sich als weiße Person nicht einmal gegen Rassismus einsetzen darf, ohne der kulturellen Aneignung bezichtigt und damit wieder als Rassist*in bezeichnet zu werden. Das stimmt so nicht, auch weiße Personen wurden und werden – wenn nicht direkt im Aufruf anders spezifiziert – gerne auf antirassistischen Demos gesehen. Es ist aber wichtig, dass sie sich bewusst sind, dass sie nicht direkt von Rassismus und Diskriminierung betroffen sind und deshalb gewisse Symbole nicht verwenden sollten. Zur Zeit der Black Lives Matter Demonstrationen kursierten deshalb auch viele Ratgeber und Guides von BIPoC für Weiße, die sich gegen Rassismus einsetzen wollen. Als politische und antirassistische Person war es eigentlich kaum möglich, so einen Ratgeber nicht zu finden. In diesen Ratgebern stand zum Beispiel, dass Weiße sich nicht Slogans aneignen sollten (siehe Bild im Tagesspiegel), die Erfahrungen von PoC repräsentieren. Weiße haben keine direkte Erfahrung mit institutionellem Rassismus, tun durch die Verwendung solcher Sprüche aber so, als ob sie diesen erfahren hätten.
Die im Artikel erwähnte Frau hat sich also im Vorfeld einer Demonstration gegen Rassismus, der sie als Weiße nicht selbst betrifft, nicht ausreichend über dort für sie geltende Regeln informiert. Das ist definitiv wichtig zu kritisieren, obwohl die Frau “aus redlichen Motiven” zur Demonstration gekommen ist. Denn mit ihrem Erscheinen dort und der unkritischen Übernahme von Symbolen, die schwarze Demonstranten verwenden, zeigte die Frau eigentlich nur, dass sie sich des Problems zwar bewusst ist, aber den Betroffenen trotzdem nicht zuhören möchte. Schließlich wissen wir alle: das Gegenteil von gut ist gut gemeint.
Menschen und Aktivisten wie Jasmina Kuhnke brauchen wir in unserer Gesellschaft, Öffentlichkeit und Politik. Denn nur so können wir Geflüchteten und Menschen mit Migrationshintergrund ein Ziel geben, jemanden zu dem sie aufschauen können, der ihnen Mut macht.
In unserer Vereinsarbeit merken wir immer wieder, wie wichtig diese Rolle ist und wie gut es den von Diskriminierung betroffenen Menschen tut, wenn ihnen jemand eine Stimme gibt und sich für sie einsetzt, der die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit hat.
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One thought on “Kommentar zum Tagesspiegel”
Danke für das sachliche Zerlegen des Artikels. Hat mir geholfen zu verstehen, was dieeigentliche Kritik ist und warum ander Beiträge und Gegenreden so frustriert und bösartig klingen.