Erlebnisbericht Homo- & Queerphobie
Es ist der Internationale Tag Homo-, Bi-, Inter- und Transphobie, und trotz fortschreitender Akzeptanz queerer (LGBTQIA+) Menschen in der Gesellschaft sind über die letzten Jahre die Anzahl der polizeilich erfassten Delikt gegen die sexuelle Orientierung fast stetig gestiegen. Vor allem von 2018 zu 2019 stieg die Gesamtanzahl der Delikte um 64% (von 351 auf 576) und die Anzahl der Gewaltdelikte um 56% (von 97 auf 151). Die meisten Menschen in Deutschland erleben aber kaum bewusst die queerphobischen Denkens- und Verhaltensweisen die unserer Gesellschaft und Sozialstruktur innewohnen, da sich gerade mal 6,9% der Personen in Deutschland in einer Umfrage 2019 als lesbisch, schwul, trans*, inter* oder queer bezeichneten.
Ich bin selber ein Teil der der queeren Bevölkerung in Deutschland, und daher möchte ich hiermit einen Erlebnisbericht davon liefern wo mir in meinem bisherigen Leben schon Queerphobie begegnet ist, und wo sie heute noch in Gesellschaft und Medien auftritt. Zunächst etwas Kontext zu mir: ich bis Anfang 20 und identifiziere mich als homosexuell, panromantisch und agender. Ich benutze beliebige Pronomen auf Deutsch und they/them auf Englisch.
Während der Schulzeit
Meine bewussten Erfahrungen mit Queerphobie waren auf dem Schulhof meines Gymnasiums bevor ich selber richtig realisiert hatte, dass ich queer bin. Dennoch hörte ich oft genug “schwul” und ähnliches als Synonym für “scheiße” oder als eine Beleidigung, und mehr als genug Witze über Lesben und Schwule – über den Rest der queeren Community wurde nicht geredet (wie ich heute realisiere nicht zuletzt aus Unwissen). Als ich jedoch einmal realisiert hatte dass ich homosexuell bin änderte sich das recht schnell. An meinem (für die Region ziemlich links-progressiv ausgerichteten) Gymnasium selbst lief mein Outing recht unproblematisch, außer dass einige Menschen (inkl. Lehrende) danach deutlich weniger Kontakt mit mir hatten als vorher.
Ich war allerdings auch ein Teil der 50 Schüler:innen und Auszubildenden in meiner Stadt welche unter der Woche in dem Internat wohnten, welches dem Gymnasium angegliedert ist. Dort durfte ich mir allgemein dumme Kommentare anhören, selbst von Menschen die mit mir befreundet waren. Diese Kommentare kamen (da ich mich damals noch als männlich identifizierte) von anderen männlichen Mitinternatlern. Da wir geteilte Zimmer hatten durfte ich mir oft anhören meine Zimmerkameraden müssten ja mit “einem Korken im Arsch” oder dem “Hintern gegen die Wand” schlafen, mit der offensichtlichen Implikation, dass nur weil ich homosexuell bin, ich jede Person des gleichen Geschlechts vergewaltigen würde mit der ich für eine Nacht ein Zimmer teile.
Ein besonders einschneidendes Erlebnis aus dieser Zeit kann ich mich noch sehr gut erinnern. Ich hatte zu dem Zeitpunkt noch nie etwas mit einer gleichgeschlechtlichen Person gehabt, war am Wochenende mit meinem Vater bei meinem Großvater (mehr zu beiden später), es war spät am Samstagabend und ich bekam auf einmal eine Nachricht von einem Jahrgangskameraden mit dem ich mich gut verstand und den ich auch nicht schlecht fand. In der Nachricht gestand er mir, dass er Gefühle für mich entwickelt hatte. Ich war total aus dem Häuschen und wunderte mich aufgrund der Uhrzeit gleichzeitig ob er einfach nur betrunken ist. Wir schrieben weiter, ich natürlich komplett aus dem Häuschen, vor allem weil er auch am Sonntag noch weiter mit mir schrieb. Wir verabredeten uns zu einem Treffen an dem Abend im Stadtpark nachdem ich im Internat angekommen war.
Nachdem ich im Stadtpark ankam und etwas gewartet hatte sah ich wie er den Weg in meine Richtung entlang lief. Was mich wunderte war dass er in Begleitung von einem Internatskameraden von mir unterwegs war. Meine Verwirrung wurde schnell gelüftet und durch Enttäuschung entsetzt als die beiden mir erzählten, dass es doch nur ein Spaß war und sie mich gemeinsam die ganze Zeit verarscht hatten obwohl sie wussten, dass mich das als eine der wenigen queeren Personen in meinem Umfeld besonders hart treffen würde. Ich erinnere mich jetzt noch sehr genau an das Gefühl als ich ihnen daraufhin sagte “Ich geh’ mich dann mal erschießen”, mich umdrehte und zurück zum Internat schleppte.
In der Familie
In meiner Familie kam die Queerphobie hauptsächlich von einer Seite der Familie – der Väterlichen. Meinen Vater traf hat mein Outing eher kalt erwischt, und dies äußerte sich zunächst in Ungläubigkeit. Auf mein Outing hin fragte er mich woher ich denn wisse, dass ich schwul sein, denn ich hätte ja auch noch nie mit einer Frau geschlafen. Ich konterte, dass er ja auch noch nie mit einem anderen Mann geschlafen hätte. Danach wurde es deutlich besser – ich merkte, dass eine Mischung aus Enttäuschung darüber, keine natürlichen Enkelkinder zu bekommen und Unwissen über queere Geschichte und Erlebnisse ihn zu seiner ersten Reaktion bewegt hatte nachdem wir hier und da mal über das Thema gesprochen hatten. Einmal sagte er mir dass er und mein Großvater, dass sie das Gefühl hätten “es werden immer mehr Schwule”. Ich erklärte ihm daraufhin, dass bis 1994 §175 StGB bestimmte Arten von gleichgeschlechtlichen Geschlechtsverkehrs verbot, weshalb sich seit dem mehr Menschen trauen sich zu outen wenn sie merken, dass sie queer sind. Das konnte er dann auch nachvollziehen, und heute ist die Sache kein großes Thema mehr.
Zu meinem Großvater: nach meinem Outing ihm gegenüber am Telefon ließ er eine Hasstirade los, die ich nach einigen extrem homophoben Äußerungen durch auflegen beendete. Als wir uns danach zum ersten Mal wieder in Person sahen wollte er mich dazu “überreden” mich zu einigen uneinig zu sein und nicht mehr darüber zu reden – worauf ich einging, da ich keinen innerfamiliären Konflikt provozieren wollte. Nach einem besonders schlechten Erlebnis bei meinem Großvater änderte sich das jedoch. Ich war dort mit meinem Vater und seiner neuen Frau, und ich durfte durch eine Wand mithören wie mein Großvater und die neue Frau lang und breit ausdiskutierten wie unnatürlich Homosexualität doch sei. Danach vermied ich das Thema nicht mehr wenn mein Großvater in meiner Nähe war, da ich für Gegenpunkte zu seiner Rhetorik sorgen wollte.
Es kann besser werden!
Ich habe jetzt viel über persönliche Erlebnisse mit Queerphobie (meist Homophobie) geschrieben, aber es dabei stehen zu lassen wäre eine einseitige Darstellung. Einerseits hatte ich schon in jungen Jahren Menschen um mich herum, die mich komplett unterstützt haben und oft auch noch bis heute tun. Dazu zählt zum Beispiel auch meine Mutter, deren Antwort auf die Frage “Was würden Sie tun wenn Ihr Sohn einen Freund mit nach hause bringt?” tatsächlich “Keine Ahnung, Kaffee?” ist, genau wie ein weites Netz an Freunden und Bekannten auf die ich mich im Zweifel immer verlassen kann.
Mein Leben hat sich außerdem drastisch verändert als ich aus dem ländlichen Internat zur Ausbildung in eine Großstadt zog. Ich lernte einen neuen queeren & queerfreundlichen Freundeskreis kennen und in der Berufsfachschule gab es auch keine Probleme bezüglich meiner Sexualität. Dasselbe gilt auch für die ehrenamtlich Aktivitäten die ich in der Stadt entdeckte. Inzwischen habe ich am anderen Ende der Republik angefangen zu studieren, und bin auch an der Uni noch keiner Homophobie begegnet. Meine letzte homophobe Begegnung ist inzwischen mehrere Jahre her, und ich erlebe Queerphobie nur noch durch die Medien.
Fazit
Ich möchte am heutigen Tag nicht schließen ohne darauf hinzuweisen, dass ich extrem viele Privilegien genossen habe und auch immer noch genieße, die mir den Weg erleichtern. Ich bin weiß, werde männlich gelesen und falle für die meisten einfach in die Kategorie “schwuler Mann” – der akzeptiertesten Gruppe innerhalb der queeren Community. Es gibt so viele andere queere Menschen, denen es noch schlechter geht: BIPoCs, Menschen mit Behinderung, Arbeitslose, Wohnungslose. Diesen Menschen müssen werden oft selbst von anderen Teilen der queeren Community diskriminiert, ein Verhalten, das die Existenz dieser Menschen als ein gleichberechtigter Teil unserer Community gefährdet. Dagegen müssen wir ankämpfen. Heute ist ein guter Tag dazu – als Internationaler Tag Homo-, Bi-, Inter- und Transphobie gibt es heute viele gute Möglichkeiten von queeren Verbänden, Initiativen und Kollektiven sich zu informieren, zu spenden und sich aktiv zu beteiligen. Ich rege jede:n dazu an, zu tun was sie:er kann um das Leben unterdrückter queerer Communities besser zu machen.