Die FDP als Steigbügelhalter der AfD
Als gestern das Ergebnis der Wahl zum Ministerpräsidenten Thüringens bekannt wurde, reagierten die Bürger der gesamten Bundesrepublik zunächst geschockt – doch es dauerte nicht lange, bis daraus Bestürzung und Wut wurden. In den sozialen Medien war von einem „schwarzen Tag“ und „ungläubiger Trauer“ die Rede; schnell machten Bilder von einer „AFDP“ die Runde.
Berlin vom Demoreporter der GGultras
Es kam zu bundesweiten Protesten vor den FDP-Landeszentralen sowie vor der Bundeszentrale in Berlin.
Warum hat die Ministerpräsidentschaftswahl in einem so kleinen Bundesland mit einer Einwohnerzahl, die annähernd der Hamburgs entspricht, einen derart massiven Effekt auf die politische Stimmung in der gesamten Bundesrepublik?
Es ist eingetreten, wovor Grünen-Chef Habeck als dem Fall einer „Brandmauer“ gewarnt hatte; es ist der AfD erstmals gelungen, über Hinterzimmer-Klüngeleien mit der CDU und der FDP einen Fuß in die Tür der Regierungspolitik zu stellen. Kam dieser Coup überraschend? Nur zum Teil. Zwar hatten sich die rechten Spektren von CDU und FDP in den letzten Monaten sowohl in Sachthemen als auch mit der Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit der AfD auf kommunaler und regionaler Ebene immer weiter angenähert. Doch es waren von der Führung beider Parteien klare Anweisungen ausgegeben worden, die jegliche Kooperation mit der AfD auf allen Ebenen verhindern sollten. Zudem hatte sich CDU-Landeschef Mohring verstärkt für die Unterstützung einer rot-rot-grünen Minderheitsregierung unter Ramelow eingesetzt.
Schließlich vertrauen die meisten Bundesbürger – immer noch – auf ein Funktionieren von Demokratie und Rechtsstaat. Diejenigen, die seit Jahren vor einem Erstarken des Neo-Nationalsozialismus und seiner Ausbreitung bis in die Kreise der etablierten Politik warnen, wurden nicht nur aus den Kreisen der Rechten oft belächelt. Schließlich handele es sich bei der AfD um eine „bürgerliche, demokratisch gewählte Partei“ – und CDU wie auch FDP galten der AfD doch als „Alt- bzw. Systemparteien“ und somit als ihre erklärten Feinde. Vor allem aber nahmen die Bürger dieses Landes die FDP zwar als wirtschaftsliberal und konservativ, doch zumindest als eine demokratische Partei wahr.
Dabei sollte ein Blick in die Geschichte uns Warnung genug sein: In den 1950er Jahren versuchte der „Naumann-Kreis“, eine neo-nationalsozialistische Gruppierung um den ehemaligen Staatssekretär von Joseph Goebbels, Werner Naumann, die Freien Demokraten zu infiltrieren und zu unterwandern. Erst die britischen Besatzungsbehörden deckten den Geheimbund auf und setzen seinen Umtrieben ein Ende. Die junge Demokratie wäre dem wachsenden politischen Einfluss der gut vernetzten Altnazis möglicherweise nicht gewachsen gewesen.

Wenn wir heute über die Neue Rechte reden, denken wir zunächst an Gruppierungen wie die Identitäre Bewegung mit ihrem völkisch-nationalistischen Gedankengut. Wir denken nicht an die etablierten Parteien, stellen die Integrität hoher Amtsträger unseres Rechtsstaates wie beispielsweise Richter, Staatsanwälte oder des Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz nicht in Frage. Als Bürger dieses Landes sollten wir zu Recht voraussetzen dürfen, dass in solche Ämter wie auch in einflussreiche Positionen demokratischer Parteien nur solche Persönlichkeiten gelangen, die mit ihrer Gesinnung absolut fest auf dem Boden unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung stehen. Ebenso sollten wir darauf vertrauen dürfen, dass die Instrumente des Rechtsstaates diese Grundvoraussetzung zur Bekleidung solcher Positionen ohne jeden Zweifel sicher stellen. Jedoch haben uns sowohl die Geschichte der Machtergreifung der Nationalsozialisten als auch die Affaire um den ehemaligen Chef des Verfassungsschutzes Maaßen eines Besseren belehrt.
Ist uns eigentlich bewusst, wie verletzlich unsere Demokratie ist? Wie leicht sie mit ihren eigenen Mitteln gekippt werden kann? Seit dem Bestehen der AfD erleben wir beinahe täglich Attacken ihrer Vertreter auf wesentliche Grundpfeiler der Demokratie. Ein Teil der Bürger unseres Landes unterschätzt die Gefahr gewaltig, in der die Demokratie sich befindet.
Spätestens seit gestern sollte auch dem Letzten klar sein, wie schnell zutiefst antidemokratische Kräfte bis an das Kernstück der Demokratie gelangen können, um sie von innen heraus außer Kraft zu setzen.
Sicher, die Wahl zum Ministerpräsidenten Thüringens entsprach formal der Wahlordnung – doch wie demokratisch ist eine Wahl zu nennen, bei der die Stimmvergabe bereits im Vorfeld durch Fraktionszwänge feststeht, bei der eine vom Verfassungsschutz beobachtete Oppositionspartei ihren eigenen Kandidaten komplett fallen lässt, um den der stimmschwächsten Partei ins Amt zu hieven?

Da hilft es wenig, wenn Thomas Kemmerich bei seiner Antrittsrede versichert, nicht mit der AfD regieren zu wollen – seine Glaubwürdigkeit geht angesichts der Ereignisse gen Null. Ebensowenig hilfreich ist die halbherzige Distanzierung von FDP-Bundesparteichef Christian Lindner.
Alles, was zur Schadensbegrenzung gegen den bereits geschehenen Dammbruch helfen kann, lässt sich in diesen beiden Forderungen formulieren:
- Sofortiger Rücktritt von Thomas Kemmerich als Ministerpräsident des Landes Thüringen
- Neuwahlen des Thüringer Landtages
Die Demokratie ist nur so gut und so sicher, wie sie gelebt und geschützt wird. Und da man dies nicht besser in Worte kleiden kann, zitieren wir einen der Väter unseres Grundgesetzes, den SPD-Politiker Carlo Schmid, aus seiner Rede vor dem Parlamentarischen Rat am 08.09.1948:
„Ich für meinen Teil bin der Meinung, dass es nicht zum Begriff der Demokratie gehört, dass sie selber die Voraussetzungen für ihre Beseitigung schafft. Ja, ich möchte weiter gehen. Ich möchte sagen: Demokratie ist nur dort mehr als ein Produkt einer bloßen Zweckmäßigkeitsentscheidung, wo man den Mut hat, an sie als etwas für die Würde des Menschen Notwendiges zu glauben. Wenn man aber diesen Mut hat, dann muss man auch den Mut zur Intoleranz denen gegenüber aufbringen, die die Demokratie missbrauchen wollen, um sie aufzuheben“. Ob er sich hätte träumen lassen, wie relevant seine Worte 72 Jahre nach dem Sieg über den Hitlerfaschismus wieder sein würden?
Wir rufen alle demokratisch gesinnten Bürger unseres Landes dazu auf, sich der Gefahr des wieder aufkeimenden Faschismus nicht nur bewusst zu werden, sondern sich Tag für Tag konsequent und mutig für den Schutz der Demokratie einzusetzen! Sie ist ein kostbares Gut – und sie ist kein Selbstläufer.
Um es abschließend mit den Worten von Katharina Schulze (Bündnis 90/Die Grünen) zu sagen: „Gebt ihnen nicht eure Tränen – gebt ihnen eure Wut!“
Als letztes noch einige Eindrücke vom 05.02.2020